Alle Welt redet von gestörter „Work-Life-Balance“. Es erscheinen immer mehr GutmenschenBücher mit Titeln wie diesem: Leben und Arbeit in Einklang bringen. Damit wird die Einstellung gefördert, dass Leben und Arbeit ein Gegensatz sind, der krank machen muss.
Die Buchtitel könnten höchstens lauten: „Life-Balance“ – Leben in Balance – Wie bringe ich meine eigenen persönlichen Bedürfnisse, mein Familienleben und meine Beziehung zu meinen Kollegen und Freunden, meine Arbeit, mein gesellschaftliches Engagement und meine Hobbies in Einklang?
Alle Welt redet in diesem Zusammenhang auch ständig von Burn-out. Ja, den gibt es leider. Aber nur bei Leistungsträgern, die den Punkt nicht mehr finden, an dem sie anhalten und sich erholen müssen. Der Burn-out ist jedoch gleichzeitig für viele ein Geschäftsmodell. Ein gutes Ticket, auf dem sich ausruhen lässt.
- Weshalb stellt niemand die „Burn-out-Studien“ mehr in Frage?
- Könnte es nicht sein, dass die Hauptursachen des Ausgebranntseins nicht im Beruf, sondern im privaten, im sozialen Umfeld jedes Einzelnen liegen?
- Könnte es nicht die Inflation der sehr persönlichen Ansprüche sein, die sich in allen Schichten breit gemacht hat wie wabernder Nebel?
- Könnte es sein, dass viele den Abend nicht mehr als Feierabend nutzen, als Zeit zur Entspannung und aktiven Erholung, sondern sich bis nach Mitternacht passiv von 150 Fernsehprogrammen berieseln und erschlagen lassen – und sich deshalb am nächsten Morgen im Job wie erschlagen fühlen?
Es gibt den „Burn-out“ durch den Beruf, keine Frage – man sehe sich nur Schwestern und Ärzte im Krankenhaus an. 67% der Deutschen „Beschäftigten“ jedoch ist ihr Unternehmen „sche…-egal“. Hauptsache, am Monatsende ist pünktlich das Geld auf dem Konto.
Das ist das Ergebnis der neuesten GALLUP-Studie. Und solche Arbeitnehmer reden von „Burn-out“!? Viele davon bräuchten einen „Burn-on“!
Wir arbeiten im Schnitt nur noch 7,5 Stunden an 5 Tagen die Woche, haben mit geschickter Nutzung der BrückentagsOptionen 7 Wochen Urlaub im Jahr. Was wollten denn unsere Eltern und Großeltern sagen, die noch sechs Tage in der Woche sechzig Stunden zur Arbeit gingen und nebenberuflich Landwirte waren? Die beherrschten die englische Sprache noch nicht. Das war wahrscheinlich der Grund dafür, dass sie den Begriff „Burn-out“ nicht kannten und deshalb einfach das Deutsche Wirtschaftswunder schafften. Heute ist von dem WirtschaftswunderLand nur noch ein wunderliches Wirtschaftsland übriggeblieben. Wir beginnen, uns auf dem Erfolg der letzten Jahre auszuruhen. Es ist sehr gefährlich, wenn ständig die herausragende Wirtschaftsleistung im Vergleich zu anderen EU-Ländern betont wird. Unter den Blinden ist der „Einäugige“ König.
Noch eine Zahl, über die wir in unserem übersättigten Sozialstaat mal nachdenken könnten: Laut OECD verbringt der Mensch in Deutschland nur noch 7,5 % (kein Schreibfehler!“) seiner gesamten Lebenszeit in Stunden (von der Wiege bis zur Bahre) mit Arbeit zum Broterwerb! Damit wollen wir ein achtzig Jahre und länger dauerndes Leben stressfrei finanzieren können? Herr lass Hirn vom Himmel regnen! In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage nach dem Renten-oder Pensions-Eintritt, sondern die Frage nach der Dauer des Bezugs! Hier liegt doch der Hase im Pfeffer. Als das Rentensystem Ende der fünfziger Jahren für die neue Zeit weiterentwickelt wurde, ging man von einer durchschnittlichen Rentenbezugsdauer von 3 (!) Jahren aus – und nicht von 20 (!), die es wohl sehr bald sein werden.
Unsere Kinder und Enkelkinder werden ihre wahre Freude daran haben, dass sie die 233 Milliarden Euro abbezahlen dürfen, die ihnen die Große Koalition der Sozialromantiker durch das Rentengeschenk von 67 auf 63 auf die Schultern geladen hat. Immer häufiger erscheinen Bücher mit Titeln wie diesem, in mehr oder minder abgewandelten Formen: Leben und Arbeit in Einklang bringen! Und es ist der Öffentliche Dienst, der mit 35% die größte Gruppe derer darstellt, die das Rentengeschenk dankbar angenommen haben – nicht die Dachdecker, die mit 67 nicht mehr aufs Dach sollten.
Der GrundTenor ist immer der gleiche: Der Gegensatz von Arbeit und Leben. Im Klartext: Die Arbeit hindert uns am Leben!
Welch ein unglaublicher Schwachsinn! Seit Jahren bleibt ein solcher rhetorischer, vor allem inhaltlicher Fehlgriff kritiklos unkommentiert, auch und besonders von den PersonalAbteilungen in den Unternehmen und deren externen Dienstleistern. Im Gegenteil. Trainer und Coaches werden dazu verführt, in das gleiche Horn zu stoßen wie Gewerkschaften und alle SozialTechnokraten.
Dahinter steht ein lohnendes „Wir kümmern uns um die Geschundenen“-Geschäfts-Modell für PsychoBeraterinnen und -Berater jeglicher Prägung, vor allem wirtschaftsfeindlicher Gesinnung. Diese Experten machen dann ihren 5-Jahres-Therapieplan und sichern sich damit ein fettes Einkommen.
Kein Wunder, dass immer mehr Menschen in den Unternehmen, die von solchen Begriffen all dieser sozialpädagogisch durchgequirlten Gutmenschen auch noch dazu ermuntert werden, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen zwischen dem – aus ihrer Sicht – wirklich menschen-würdigen Leben – sprich Freizeit, Ferien und Freundes-Treffen und dem wirklich menschen-unwürdigen Leben, geprägt von lebensbehindernder Arbeit.
„Zum Menschen gehört die Arbeit,
wie das Fliegen zu den Vögeln“
So hat es Martin Luther schon im Mittelalter deutlich gemacht. Dieser kannte offensichtlich noch etwas, das uns mit zunehmender Sattheit in unserer sozialromantisch geschwängerten Gesellschaft völlig abhandengekommen ist – er wendete ihn sogar noch tagtäglich an: den Gesunden MenschenVerstand. Wir haben längst begonnen, ihn systematisch aus dem Land zu treiben. Wir werden ernten, was wir säen!
Hi Vinzenz,
Danke für diesen Beitrag, der mir extrem aus der Seele spricht. Ich halte es gerne mit Konfuzius: Wähle einen Job, den Du liebst, und Du brauchst nie mehr arbeiten.
Aber es stimmt schon. Wer überhaupt auf diese dämliche Idee kam, Arbeit und Leben als Gegensatzpaar aufzustellen, der hat in jedem Fall ordentlich Kasse mit den – wie du so schön schreibst: – Geschundenen gemacht. Wer schließlich versucht, die Arbeit, die ja nachweislich den Großteil unseres Wachlebens ausmacht und zum Leben untrennbar dazugehört, vom Leben loszulösen, der kann ja nur scheitern.
Ich plädiere – wenn überhaupt – eher für eine Begrifflichkeit wie Work-Freetime-Balance, wobei Balance immer auch ein Marker für Unsicherheit ist. Wieso muss ich erst eine Balance herstellen? Weil ich das unsichere Gefühl habe, etwas stimmt nicht. Anyway. Ein paar Tipps, die über das übliche „Das Smartphone mal weglegen“ hinausgehen, habe ich zu diesem Thema nebst meinen Gedanken auch in meinem Blog hinterlegt: https://ausbilderschein24.de/work-life-balance-optimieren/ Dürfte umgekehrt auch dir in vielen Punkten aus der Seele sprechen 😉
Freundliche Grüße
Lieber Herr Baldus,
wir haben uns vor ca. zehn Jahren Mal in einem Workshop von Ihnen kennengelernt…
Ich stimme Ihren obigen Ausführungen voll und ganz zu… Ich finde Work-Life-Blendig – wenn Life als Privatleben/Freizeit verstanden wird – weitaus passender. Oder Work-Life/Leisure-Integration…
Herzliche Grüße
Maik Weiss